IPTV ist eine Gleichung mit vielen Unbekannten.
In den nächsten Monaten will die Swisscom Internet-TV einführen. Ähnliche Angebote sind auch in anderen Ländern Europas in Vorbereitung. Bezüglich der technischen Voraussetzungen, des Kundennutzens und der Marktentwicklung sind noch viele Fragen offen.
Alles dauert länger, als man denkt. Wenn aber ein Telekom-Anbieter einen neuen Dienst entwickelt, dauert alles noch viel länger. Ein Beispiel hierfür ist Swisscom, die schon einige Male die Einführung von IPTV verschoben hat. IPTV heisst, dass über das Internet-Protocol (IP) TV- Kanäle übertragen werden. Eigentlich sollten schon seit 2005 TV-Sendungen über Breitbandinternet (ADSL) zu sehen sein. Jetzt hofft man, in der Vorweihnachtszeit starten zu können. «Der genaue Zeitpunkt in der zweiten Jahreshälfte 2006 wie auch das genaue Angebot sind noch nicht entschieden», sagt Swisscom-Pressesprecher Christian Neuhaus.
Gleichung mit vielen Unbekannten
Wenig Klarheit über IPTV herrscht auch unter den Marktauguren. Die kalifornische Marktforscherin iSuppli sieht IPTV in einer dieser Tage vorgestellten Studie als «das nächste grosse Ding». Bis 2010 soll die Zahl der IPTV-Nutzer weltweit von 5,3 auf 63 Millionen ansteigen, und die Betreiber sollen im Jahr 2010 bereits 27 Milliarden Dollar einnehmen. Hingegen rechnete Forrester Research vor einigen Wochen vor, dass wegen des erforderlichen Netzausbaus innert zehn Jahren Verluste von 3700 Euro pro Neukunde auflaufen könnten.
Während man bei Forrester Research davon ausgeht, dass viele Kunden nicht bereit sind, für weitere TV-Programme zu zahlen, geht iSuppli von zusätzlichen Einnahmequellen aus. Genannt werden Spartenkanäle für spezielle Zielgruppen, neue Werbeformate, Online-Spiele, Musik, Einkauf über das Fernsehen und «Video on Demand». «Video on Demand» bedeutet, dass sich die Anwender etwa neue Kinofilme anschauen oder herunterladen können. Meistens dürfte IPTV als Bestandteil eines Triple-Play-Angebotes zusammen mit Internetanschluss und Telefondienstleistungen offeriert werden. Alles in allem bleibt IPTV eine Gleichung mit vielen Unbekannten.
Auf jeden Fall braucht Fernsehen via IP eine hohe Bandbreite. ADSL ist mit Übertragungsraten von maximal 5 MBit pro Sekunde beim Download (Verkehr vom Anbieter zum Anwender) schnell, aber nicht schnell genug. Ein TV-Videostream benötigt alleine 1,5 bis 2 MBit/s, ein zweiter Übertragungskanal für ein zweites Fernsehgerät im Haus liegt da nicht drin, da ja auch der Internetzugang Bandbreite benötigt. HDTV verbraucht gemäss Experten satte 8 bis 12 MBit/s.
Mit VDSL (Very High Speed Digital Subscriber Line) steht indes schon eine Weiterentwicklung bereit, was allerdings einen Netzausbau erfordert. VDSL erlaubt über die herkömmliche Telefonleitung Datenraten von bis zu 50 MBit/s, wobei die Übertragungsrate mit der Länge der Leitung sinkt. Laut Swisscom werden Fernsehdienste sowohl über ADSL als auch über VDSL erhältlich sein. Swisscom hat bereits mit dem Roll-out von VDSL in städtischen Gebieten begonnen. Bis Ende 2006 will man eine «Abdeckung von 60 Prozent» erreichen.
Sicher ist, dass Swisscom - wie auch T-Online in Deutschland - auf IPTV via Settop-Box setzt. Das heisst, dass der herkömmliche Fernseher via Settop-Box gespeist wird. Daneben gibt es beim IPTV noch das Browser-basierte Internet-Fernsehen und spezielle, Browser-unabhängige IPTV- Programme für den PC. IPTV via Settop-Box dürfte die mit Abstand wichtigste Variante werden. In einigen europäischen Ländern offerieren regionale Anbieter bereits seit längerem IPTV über ADSL2+, das mit rund 20 MBit/s grössere Übertragungsraten als ADSL erlaubt, aber langsamer als VDSL ist.
Erklärungsbedarf
Vor dem IPTV-Erfolg steht indes noch eine weitere Hürde. Bis heute kennt die Hälfte der Verbraucher den Begriff IPTV nicht, so eine Studie des Beratungshauses Accenture, das 6000 Personen in den USA, Frankreich, England, Deutschland, Italien und Spanien befragte. Zudem zweifeln viele Verbraucher an der Sicherheit und Servicequalität des Angebots. Entwarnung gibt Fussballexperte Franz Beckenbauer, der als Sportkommentator für Premiere arbeitet, einen TV- Sender, der letzte Woche erstmals die Fussball- Bundesliga via IPTV über das VDSL-Netz der Deutschen Telekom ausstrahlte: «An Ausdrücke wie IPTV und VDSL muss ich mich erst gewöhnen», sagte der Fussballexperte in einem Zeitungsinterview, «aber ich habe verstanden, das ist die Zukunft.» Angemeldet waren zum ersten Bundesliga-Spieltag am 11. August 2006 allerdings erst 43 Haushalte.
Manfred Weise
Etiquetas: NZZ
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